»Das, was sich aus dem „Zusammenspiel“ all dieser einzelnen Brüder ergibt, ist im Idealfall eine – im wahrsten Sinne des Wortes – eine einige, harmonische und „vollkommene“ Loge.«
Die Bedeutung der Musik in der Freimaurerei, insbesondere im Ritual ist ein sehr weites Feld, so dass ich mich auf einige wesentliche Aspekte konzentriere.
Die Wirkungen der Musik auf die Psyche, aber auch auf unseren Körper ist wissenschaftlich nachgewiesen und so verwundert es nicht, dass es wohl nur wenige Menschen gibt, die Musik nicht als einen wesentlichen Aspekt ihres Alltags und Lebensgefühls betrachten.
Dabei ist der geistige Einfluss, den Musik seit jeher auf den Menschen und unsere Gesellschaft ausübt, nicht zu unterschätzen. Insbesondere die assoziative Kraft der Musik wurde schon früh bewusst in kultischen Gemeinschaften eingesetzt, um bestimmte Stimmungen und Gemütszustände zu erzeugen. Dies ist bereits für Tempelritualien der Antike belegt.
Die Freimaurerei ist da keine Ausnahme. Von Beginn an spielte die Musik bei maurerischen Zusammenkünften eine tragende Rolle, was sich z.B. daran zeigt, dass bereits 1725, kurz nach der Gründung der englischen Großloge, eine Gesellschaft „Philo-Musicae et architecturae Societas Apollinis“ bestand, welcher der berühmte Komponist, Bruder Francesco Saverio Geminiani (1679-1762), als „Dictator and Director of all Musical Performances“ vorstand.
Zur Zeit der ersten Freimaurerlogen galt allerdings weniger die Instrumentalmusik als die höchste Form, sondern vielmehr der Gesang, so dass es nicht wenige Logen gab, die ihre Arbeit mit einem von den Brüdern gemeinsam gesungenen Lied begannen und auch beendeten.
Bruder Joseph Holzmeister von der berühmten Loge „Zur Wahren Eintracht“ in Wien, der übrigens auch Joseph Haydn angehörte und in der Bruder Wolfgang Amadeus Mozart zum Gesellen befördert wurde, erklärte, Vokalmusik sei die schönste und natürlichste. Sie dringe am stärksten ins Herz.
Selbstverständlich im Rahmen von Tafellogen, aber auch bei anderweitigen Zusammenkünften der Brüder, die im Anschluss an die Arbeiten stattfanden, war der gemeinsame Gesang ein fester Bestandteil, wobei ein Kapell- oder auch Musikmeister genannter Bruder die musikalischen Darbietungen organisierte.
Damals wie auch heute ließ die Musikalität der Brüder häufig zu wünschen übrig. Man hatte es in der Regel mit einem gemischten Chor zu tun: Die einen konnten singen, die anderen nicht. Weil dies häufig so war, wurden Ende des 18. Jahrhunderts qualifizierte Berufsmusiker besonders stark von den Logen umworben. Sie waren häufig von Logenbeiträgen befreit und wurden zügig befördert. Notfalls griff man auf professionelle Hilfe in Form von ausgebildeten Musikern zurück, welche sich als Nichtfreimaurer zur Verschwiegenheit verpflichten mussten.
Das musikalische Bedürfnis der Freimaurer dieser Zeit, zeigt sich in der großen Zahl von Freimaurergesängen. Die ersten dieser Freimaurergesänge sind Tafellieder, welche bei der Arbeit in der Wirtsstube im Chor gesungen wurden. Musikalisch stützten sie sich auf bekannte Stücke, so z. B. die auch noch heute in englischen Logen gesungene Hymne „Hail masonry divine“, die nach der Melodie „God save the king“ gesungen wurde. Die heute weithin als englische Nationalhymne bekannte Melodie, tauchte übrigens auf dem Kontinent zum ersten Mal in einem Freimaurer-Liederbuch auf.
Andere Stücke, die mit freimaurerischen Texten unterlegt wurden, waren unter anderem Tänze, Kirchenlieder, Volkslieder und bekannte Gassenhauer. Das reine Geselligkeitswesen der damaligen Freimaurerei, auch Tavernen-Freimaurerei genannt, hat somit seine Spuren in der Freimaurermusik hinterlassen.
Hinterfragt man den Sinn dieser Musik, die ja fernab des praktizierten Rituals im Tempel eine hohe Bedeutung für das Freimaurertum erlangt hatte, so finden wir eine Erklärung im ältesten erhaltenen deutschen Freimaurerliederbuch. In dieser 1746 von Bruder Ludwig Friedrich Lenz in Altenburg erschienenen Sammlung von Freimaurerliedern steht schlicht, dass diese „ursprünglich zum Vergnügen unserer Loge aufgesetzt“ wurden, um „nach vollbrachter ernsthafterer Arbeit“ sich „einer unschuldigen Freude überlassen“ zu können. Die Brüder sollten „die zum Vergnügen erschaffenen Güter der Welt“ genießen, freilich mit der „weisen Mäßigung, welche Freymäurern so wohl anstehet“. Dabei sei gerade der Gesang dazu angetan, „die wallenden Bewegungen des Gemüthes“ zum Ausdruck zu bringen, und – falls es sich um das Singen „vernünftiger, weiser, und mit der Tugend sich vertragender Lieder“ handelt – deren „gute Gedanken unter alle Mitglieder [ … ] auszubreiten“ und letzten Endes „den Geist der Einigkeit“ zu fördern.
Erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts löste die reine Instrumentalmusik, früher häufig durch den Einsatz eines Musikers am Klavier, die Praxis des gemeinsamen Gesanges ab.
Nachdem wir nun die Musik außerhalb der freimaurerischen rituellen Arbeiten betrachtet haben, wollen wir jetzt einen Blick auf die Musik im Ritual werfen: Hier stellt sich die berechtigte Frage, ob Musik im Ritual überhaupt notwendig ist. Auch wenn es Logen gibt, die komplett ohne Musik arbeiten, würde wohl vermutlich keiner ihrer Brüder behaupten, dass das Ritual keine Wirkung entfalte. Dies liegt daran, dass sich viele Elemente des Rituals und seiner Symbolik über unseren Verstand erschließen. Musik ist also nicht zwingend erforderlich.
Flechten wir nun aber geeignete Musik ins rituelle Geschehen mit ein, so erreichen wir über diese rationale Stufe hinaus eine tiefere Ebene. Dabei geht es bei der Musik im Ritual nicht darum, eine Möglichkeit der Entlastung aus dem geistigen Geschehen oder eine Erholung von der Arbeit zu bieten. Die Musik ist auch nicht bloß als angenehme Abwechslung zu verstehen. Die Musik im Ritual ist – sofern sie sorgfältig ausgewählt wurde – viel mehr: Im Ritual dient die Musik in der Loge unter anderem der Einstimmung des Gemüts: So erreichen wir mit einer sorgfältig ausgewählten Musik neben dem Verstand als auch das Gefühl der Brüder. Die Musik hilft ihnen, sich innerlich dem rituellen Geschehen zu öffnen. Dies geschieht z.B. beim Eintritt in den Tempel, bei dem die Musik genau diese Funktion hat: Die Brüder sollen spüren, dass nun eine besondere Zeit beginnt, für die sie sich sammeln sollen und sie soll die Brüder auf die Arbeit einstimmen.
Dann beginnt die rituelle Arbeit. Heinz Schuler schreibt in seinem Werk „Freimaurerei und Musik“, dass das maurerische Ritual nach Musik geradezu verlange und, dass das Erleben von Musik dem Erleben von Ritual und Symbol gleichwertig sei. Musik ist also eine Fortsetzung und Verkettung der geistigen Aussagen in anderer Form, weil sie es versteht, verborgene Inhalte zu vermitteln. Sie evoziert Emotionen, welche von Geist und Sinnen gleichzeitig verstanden werden und erfasst so nicht nur den Verstand, sondern den ganzen Menschen. So wird der Eindruck während des rituellen Ablaufs vertieft und das Ritual verinnerlicht.
Die überschaubare Anzahl an bekannten Original-Kompositionen aus der frühen Freimaurerei – es handelt sich dabei meist um Lieder – sind von schlichter, eingängiger Melodieführung geprägt, womit man den überwiegend ungeschulten Stimmen der Logenbrüder das Mitsingen erleichtern wollte. Komplexere Kompositionen und ernsthafte Versuche, „Gesinnungen“ bzw. freimaurerische Symbole und Handlungen im Ritual mittels musikalischer Elemente, also Rhythmus, Harmonik, Melodik, etc. zu vermitteln, finden sich erst bei Mozart. Es ist gemeinhin bekannt, dass Mozart für seine Loge eine Reihe von Einzelgesängen und Kantaten komponierte. Er verstand es jedoch auch meisterhaft, die Musik eng mit dem Ritual zu verknüpfen. Unter anderem sind Stücke Mozarts bekannt, die perfekt auf den rituellen Ablauf des Rituals abgestimmt waren und die in Perfektion den Inhalt in musikalischer Form ausdrückten.
So unterschiedlich wie die Brüder einer Loge sind, so unterschiedlich ist auch die subjektive Wahrnehmung der Musik und dementsprechend auch der Erfolg beim Bemühen des Musikmeisters, an dieser Stelle das in Anführungszeichen „richtige“ Stück zu wählen, zumal der Musikmeister auch immer seinen persönlichen Geschmack mit einfließen lässt.
Weiter oben sprach ich davon, dass eines der Hauptanliegen des gemeinsamen Musizierens und Singens darin gesehen wird, die Einigkeit unter den Brüdern zu fördern. Ein schönes Sinnbild für diese Einigkeit unserer Bruderschaft wurde mir vor ein paar Jahren von einem Bruder einer befreundeten Loge zugetragen: So wie in einem Orchester jedes der unterschiedlichsten Instrumente seine eigene Melodie spielt, und durch das Zusammenspiel aller eine großartige musikalische Harmonie entsteht, so ist es auch in einer Loge: Jeder Bruder bringt sich auf seine eigene Weise mit seinem individuellen Charakter, seinen Fähigkeiten und Begabungen in seiner Loge ein. Das, was sich aus dem „Zusammenspiel“ all dieser einzelnen Brüder ergibt, ist im Idealfall eine – im wahrsten Sinne des Wortes – eine einige, harmonische und „vollkommene“ Loge.
Quellen:
Schuler, Heinz: Musik und Freimaurerei, Heinrichshofen-Bücher, Wilhelmshaven 2000
Gesänge der Grossen Landesloge, Zweiter Teil, Selbstverlag der Grossen Landesloge von Deutschland, Berlin 1908